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H. Biedermann
Literaturliste & Kongreßbeiträge (Auswahl)

Verteufelung des Röntgens: sie schlagen den Sack und meinen den Esel…

Pariser Karikatur von vor 100 Jahren, Hippokrates beim Betrachten seines Röngenbildes zeigend

Pariser Karikatur von vor 100 Jahren, Hippokrates beim Betrachten seines Röngenbildes zeigend

Vor eventueller Behandlung der Halswirbelsäule werten wir obligatorisch Aufnahmen der HWS aus – bei Säuglingen vor dem ersten Geburtstag nur eine Aufnahme von vorn, spätestens ab dem 3. Geburtstag Bilder in 2 Ebenen. Dabei legen wie – um Gegensatz zu vielen extern gemachten Aufnahmen – Wert auf die saubere Darstellung der Kopfgelenke, d.h. Gelenkfläche an der Schädelbasis bis C3.

Immer wieder mal ist man mit Zeitgenossen konfrontiert, die sich mit dem Mäntelchen des Kinderschützers schmücken und eine Attacke auf das Röntgen reiten. Auch bei der ‚Qualitätskontrolle‘ sind wir mit derartigen Verdächtigungen konfrontiert. Wir legen zum Beispiel großen Wert darauf, den harten Gaumen auf dem Bild sehen zu können, da nur dann eine Aussage über die relative Kopfposition möglich ist. Auch das zumindest teilweise Abbilden der aktuellen Zahnsituation ist enorm informativ, sieht man doch hier Irregularitäten, Zahn- Nichtanlagen oder andere Auffälligkeiten, die der intensiven Interaktion zwischen (oberer) HWS und Kau-Kieferregion geschuldet sind. Gerade hier setzen wir ja auch therapeutisch an, um beispielsweise funktionell unterstützend bei kieferorthopädischen Maßnahmen dabei zu sein.

Dann wird insinuiert, wir würden leichtfertig sensible Bereiche ‚bestrahlen‘ (Orbita / Schilddrüse). Wenn man aus der Unfallchirurgie kommt und sich der zahllosen unnötigen Schädelaufnahmen bei banalen Kopfplatzwunden erinnert kommt man da ins Grübeln.
Der beste Strahlenschutz ist die nicht gemachte Aufnahme – das ist eine Binsenweisheit, die oft vergessen wird. Der zweitbeste Strahlenschutz ist die auf Anhieb optimale Aufnahme. Auch das Binsenweisheit und oft vergessen, und bei uns Grund dafür, dass wir nach Erheben der Anamnese bei den Kindern entscheiden, wann ein Bild sinnvoll ist, d.h. die Kinder selber meist nicht gesehen haben, wenn die Indikation der Röntgenaufnahme gestellt wird.

Gerade bei ganz kleinen Kindern, aber durchaus auch bei den ’schwierigen‘ Schulkindern hat sich das sehr bewährt. Man hat das oder die Bilder im Kasten, bevor man sich auf die doch eher konfrontative Untersuchung einläßt. Kinder mit sensomotorischen Problemen reagieren besonders sensibel auf das ‚auf-die-Pelle-rücken‘, was ja bei manualmedizinischer Untersuchung unabdingbar ist. Und dann ein Röntgenbild hinzubekomen heißt oft, zweimal auslösen zu müssen, was ja nun wirklich nicht im Sinne des Strahlenschutzes ist.

Nun behaupten etliche Kollegen, man brauche ja gar keine Röntgenbilder der Halswirbelsäule, um den Hals zu behandeln. Da kommt dann schnell das Schlagwort von den ’sanften‘ Behandlungstechniken. Es ist absolut richtig: auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass in 80-90% der Fälle das Röntgenbild unnötig ist – aber leider, leider weiß man das erst, wenn das Bild vorliegt. In dreißig Jahren Berufspraxis habe ich es nicht geschafft, belastbare Kriterien zu finden, wann ein Bild der HWS unabdingbar ist und wann nicht.
Und so lange das so ist werde ich keinen Hals mehr als untersuchend anfassen, ohne dass ein aktuelles Röntgenbild vorliegt. Das ist durchaus ein dehnbarer Begriff, und wir geben uns oft mit ’suboptimalen‘ Fremdaufnahmen zufrieden; auch bei in unserer Praxis angefertigten Bildern hat man in der Altersgruppe der 2.-4.-Jährigen nicht selten Bilder, bei denen wir sehr dankbar für die Nachbearbeitungsmöglichkeiten des digitalen Röntgens sind. Man kann&muss da manchmal Kompromisse machen, aber die Essentials müssen auswertbar sein.

Bei den Fortbildungen zeigen wir wieder und wieder Kasuistiken von Patienten, die zum Teil als Athleten und Bodybuilder dastehen, als ob sie nichts umwerfen kann, dann aber teils dramatische Fehlbildungen und Formvarianten an biomechanisch für die Behandlung wichtigen Bereichen der Wirbelsäule zeigen. Eine gute muskuläre Bestückung ist absolut kein Freibrief dafür, die Kopfgelenke ‚einfach so‘ zu behandeln.
Es ist nach wie vor richtig, dass hier nur ausgebildete Ärztinnen und Ärzte tätig werden sollten, egal, ob man da von Manipulation oder Mobilisation spricht. Und zu guter Vorbereitung dieser Therapie gehört neben der umfassenden Untersuchung des Patienten eben auch undabdingbar eine Röntgenuntersuchung der HWS dazu.

Nun kann man anführen, dass die Besorgtheit über die Strahlenbelastung ja ernst genommen werdenn sollte und erst einmal positiv ist. Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen – im Allgemeinen. Im Besonderen, und damit sind wir alle paar Monate mal wieder konfrontiert, geht es gar nicht um das bißchen Röntgen. Es geht um Kontrolle und Macht. Man muß das so hart sagen, weil es so ist.
Wir nehmen uns sehr viel Zeit, besorgten Eltern die Risikoabwägung der für unsere Behandlung nötigen Röntgenbilder zu ermöglichen. Wenn die Eltern sich dann außerstande sehen, dem zuzustimmen, beschränken wir uns auf die Untersuchung und in extremis auf ganz unspezifische Techniken. Besonders bei Nicht-Naturwissenschaftlern gehört sich das, hier verständnisvoll zu sein. Bei Ärzten bin ich da etwas ungeduldiger – die sollten es besser wissen…

Wir haben mehrmals und in Zusammenarbeit mit Strahlenphysikern und Radiologen diese Problematik aufgearbeitet und veröffentlicht. Beim Studium der Literatur ist mir keine Arbeit untergekommen, die etwa erhöhte Risiken bei den in der Diagnostik verwandten ionisierenden Strahlen nachgewiesen hätte. Sollte dem nicht so sein bitte ich um Nachricht.

Erstaunlich auch, dass nicht selten die Gleichen, die so große Schwierigkeiten mit dem Röntgen haben, massiver Pharmatherapie (z.B. bei ADHD) wesentlich weniger skeptisch gegenüberstehen…

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