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H. Biedermann
Literaturliste & Kongreßbeiträge (Auswahl)

KiSS ist kein Syndrom

Immer wieder wird mir von Verlagsseite oder auch von Editoren der Fachzeitungen der Begriff ‚Syndrom‘ in Verbindung mit KiSS angetragen. Ich muß zu meiner Schande gestehen, dass ich da auch manchmal nachgegeben habe, eigentlich eher aus Gutmütigkeit bzw. Nachlässigkeit.

Nachdem aber immer deutlicher wurde, dass diese Kombination von Kiss & Syndrom auch und besonders von denen forciert wurde, die diesem Konzept negativ bis feindlich gegenüberstehen ist es mal an der Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Wenn man den Ausdruck ‚Syndrom‘ benutzt soll dies ja signalisieren, dass bekannt ist, dass eine Gruppe von Symptomen gemeinsam auftreten, deren strukturelle Ursache aber unbekannt ist, oder zumindest die verursachende Problematik nicht sicher greifbar ist. Bei KiSS ist es gerade umgekehrt: Wir wissen, wo das Problem liegt und kennen auch einige dadurch verursachte Krankheitszeichen, haben aber bei Weitem nicht alles schon gefunden. Diese Mustererkennung durch Kennen des Musters ist rekursiv, d.h. man wendet das Gekannte/Erkannte auf die klinische Realität an und verfeinert dadurch die Analyse. Rekursive Prozesse sind per Definitionem unbeendbar – das ist auch ihr Charme.

Beim KiSS haben wir so im Laufe der Jahre gemerkt, dass zum Beispiel die kalten Füße und Hände unserer kleinen Patienten auch ganz wesentlich über den Streß der Kopfgelenk- Verspannung verursacht waren. Das hatten wir nicht aufgrund irgendeiner theoretischen Überlegung dekretiert, sondern in der praktischen Arbeit mit den Kindern berichtete halt irgendwann mal eine Mutter, dass sie ganz erstaunt war, einige Tage nach der – erfolgreichen – Behandlung der Fehlhaltung auch beobachten zu können, dass die vorher nötigen 3 Paar Socken plötzlich überflüssig waren.

Dann fingen wir an, da vermehrt darauf zu achten und, siehe da!, es zeigte sich, dass dieses Symptom ‚kalte & verschwitzte Hände & Füße‚ sogar als prediktiver Faktor einsetzbar war. Aus einem durch Eltern berichteten Einzelfall wurde so im Laufe der Zeit ein integrierter Bestandteil der Gestalt- Diagnose KiSS. Diese Vorgehensweise ist aus der Praxis gewachsen und steht diametral dem ‚evidenz-basierten‘ Vorgehen gegenüber.

Denn wir wissen, dass unser Anteil an der Problematik eben nur ein solcher ist, nämlich ein Anteil. Andere Faktoren spielen mit, und zum Teil gewichtig. Auf sie haben wir keinen Einfluß, was aber nicht heißen soll, dass wir es nicht versuchen. Aber wir versuchen es mit dem Wissen, Stückwerk zu tun. Besser Stückwerk, als die Hände in den Schoß legen. Und besser, Störfaktoren zu beseitigen, als sich damit zufrieden zu geben, eine vorgefundene Situation ‚alltagstauglich‘ zu machen, wie das mit Medikamenten immer wieder passiert. Bei älteren Kindern sind das dann in der Regel die Amphetamine, bei Säuglingen, vor allem bei denen, die aus Belgien kommen, sind es die H2-Blocker, um die angeblichen ‚Refluxbeschwerden‘ zu lindern.

Ein langes Thema, und sich noch nicht ausgestanden, wenn sich auch eine zögerliche Besserung abzeichnet.

KiSS ist klinisch sichtbar als ein Komplex von Symptomen, die – mehr oder weniger stark – von den Störungen der oberen Halswirbelsäule mitverursacht werden. Und wenn wir unsere immer wieder veröffentlichten Zahlen im Auge behalten können wir nur sagen, dass wir gut damit leben, hier keine dopple-blind Studie vorlegen zu können. Bei 2/3 Erfolg sollte eine einfache Outcome-Statistik reichen…

KiSS also als KiSS-Komplex, als KiSS-Problematik, als KiSS-Situation. Gerne, aber nicht als KiSS- Syndrom.

 

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