Eltern und Kinder Behandlungsraum
Wie oft wir hören: „Du mußt doch keine Angst haben!„- oder „Der gibt Dir keine Spritze!“
Man könnte sagen, ist ja auch (meist) so und hoffen, daß es den kleine Patienten beruhigt, aber dies griffe zu kurz. Beim nächsten Besuch beim Kinderarzt steht vielleicht eine Impfung an oder eine Spritze aus anderem Grund – und was dann? Dazu kommt, daß die Kinder in so einem stressigen Moment vor allem „Angst!“ hören. Die Verneinung des „keine“ geht ihnen in der Hektik meist verloren.
Es ist also eher anzuraten, wenn man schon etwas sagen will, ungefähr so vorzugehen: „Ist schon alles ok!„. Dabei ist übrigens die Körpersprache enorm wichtig. Wenn der Vater gemütlich im Stuhl installiert ist und das langsam und ruhig sagt, kann’s durchaus Sinn haben.
Eigentlich hat sich am besten bewährt, nur mit seinen Gesten zu beruhigen. Eine relaxed dasitzende Mutter ist allemal überzeugender, als wenn mit Stoßatmung eine ‚Beruhigung‘ rübergerufen wird. Die Kinder durchschauen, wie sich die Angst und Sorge der Eltern da drin spiegeln. Und Mutter&Kind sind immer ein ‚Gesamtkunstwerk‘, d.h. nicht selten sieht man beim Nachwuchs den eigentlichen Gemütszustand der Eltern.
Deshalb geben wir uns – gerade im ersten Teil von Untersuchung und Behandlung – fast noch mehr Mühe mit den Eltern als mit den Kindern. Wenn man gemeinsam lacht und so das Eis brechen konnte, fällt es ihnen auch viel leichter, ihren Kindern durch Zurückhaltung und ‚Nichteinmischung‘ die Mitarbeit zu erleichtern.
Ohne in Stereotype versinken, hilft es durchaus auch im Umgang mit unseren kleinen Patienten, wenn man gewisse oft auftretende Muster im Kopf behält. Vorurteile hat jeder, er/sie muß halt bereit sein, sie in Frage zu stellen und bei Bedarf zu ändern.
Daß kleine Mädels anders ‚ticken‘ als kleinen Jungs, erleben wir täglich. Kann man einen 3-Jährigen, der sauer ist, mit einem interessanten Spielzeug fröhlich machen und der weitere Teil der Behandlung ist viel harmonischer, dann ist das bei gleichaltrigen Mädels viel schwieriger. Wenn sie sich mal dagegen entschieden haben, mitzumachen, ist es nicht einfach, sie umzustimmen. Manchmal bleibt einem nicht viel übrig, als sie mit der Tatsache zu konfrontieren, ‚daß man das halt durchziehen muß‚. Und da sind die Mädels oft cooler im Verhalten am Ende (s.u.).
Auch die Altersphasen sind da wichtig: Bei Babys geht’s fast immer gut. Ab dem ersten Geburtstag (bei Mädels eher, bei Jungs später) wird es schwieriger und bleibt so bis ungefähr zum fünften Lebensjahr. Danach kann man wieder mit den Kindern ‚verhandeln‘. Dabei hat man bis zur Pubertät eigentlich nur sympathische Patienten, seien sie auch noch so ungnädig – man muß halt dahinter schauen, dann findet man alle goldig (in ihrer Art).
Ich sag immer: „erst danach wird’s schwieriger…“ Junge Erwachsene – und danach – sind ein ganz anderes Thema.
Was hat das nun für konkrete Konsequenzen?
Man muß sich darüber im Klaren sein, daß so ein kleiner Mensch nicht hundert Dinge im Kopf hat. In einer Extremsituation wie der Konfrontation mit dem Arzt hört man nicht, was Mutter oder Vater hinten auf dem Stuhl sagen – und hat vergessen, was man beim Gespräch am morgendlichen Frühstückstisch versprochen und akzeptiert hat. Jetzt, im Moment, will man die Eltern möglichst bei sich haben.
Theoretisch gut, aber in der Regel ist dann die Untersuchung von Symmetrie und Funktion (eines unserer Hauptanliegen) schwer bis unmöglich. Nach einem ersten Moment lauten Klagens kommt meist Ruhe ins Ganze, zumal wenn die Eltern durch Körpersprache und Verhalten das unterstützen und schweigend sitzen bleiben.
Es ist – wie gesagt – gut gemeint, wenn die Mutter versucht, ihr Kind mit Worten zu beruhigen, aber es klappt meist nicht – ja es verschlechtert die Situation. Denn gerade Mädels ‚legen dann noch einen drauf‚ – will sagen: das Protestieren wird lauter. Wenn dann die Mutter auch noch kommt und etwa die Hand des kleinen Patienten hält, denkt sie (in 80% ist es dann ein Mädel) ‚Muß ich noch lauter klagen, dann gewinn ich schon!‚. Man ist in einer Abwärtsspirale, aus dem man kaum rauskommt. Das erschwert die Arbeit nicht nur hier, sondern auch beim nächsten Arztbesuch.
Die Sorge der Mutter ist soooo verständlich, und der Schutzinstinkt sooo gut – aber ob es langfristig das Kind in dieser Situation vorwärtsbringt, sei dahingestellt. Wir bitten deshalb immer, ruhig und gelassen zuzuschauen, auch wenn es manchmal etwas ’strubbelig‘ wirkt. Man hilft seinem Kind am besten, diese Situation zu meistern, wenn man ihm vertraut. Und nachher sind die Kleinen stolz, daß sie es geschafft haben; das sieht man an ihrem Blick. Gerade Mädels haben solch eine soziale Kompetenz, daß man manchmal ganz platt ist, was für eine begabte kleine Schauspielerin da vor einem ist. Immer wieder wird da umgeschaltet von den gerade noch so leidenden armen Würstchen zur professionellen Mitarbeit ohne viel Gedöns. Dann geht es in den ‚Business Mode‘, und es wird ganz sachlich und cool kooperiert. Nicht selten sind dann gerade die Mütter dann ganz erstaunt, daß das Kind so viel Mut und Durchhaltevermögen entwickelt.
Um den Eltern dieses Verhalten zu ermöglichen, ist es nötig, sich zu Beginn des Untersuchung Zeit zu nehmen mit der Familie einen Kontakt aufzubauen, ohne das Kind aus seiner Sicherheitszone rauszuholen. Die ersten Minuten halten Mutter/Vater das Kind auf dem Schoß und man spricht man über ihre Situation, und was sie zu uns gebracht hat; manchmal auch über etwas ganz anderes um eine entspannte Atmosphäre herzustellen. Erst wenn man das Basisvertrauen gewinnen konnte, hat es Sinn, das Kind anzufassen.
Das haben wir im Hinterkopf, wenn wir Babys und Kinder untersuchen und behandeln. Es kann nicht immer in Harmonie und Ruhe ablaufen, aber wir bemühen uns nach Kräften. Gott sei Dank haben 99% der Familien das nötige Basisvertrauen mitgebracht. Wir jedenfalls geben uns alle Mühe, es (nachträglich) auch zu verdienen!