Artikel-Schlagworte: „Wahrheit“
Der Standpunkt
Eines der grundsätzlichen Probleme der Manualmedizin ist, daß sie sperrig ist und sich nur schwer mit dem herrschenden Paradigma der doppel-blind-Validierung in Einklang bringen läßt. Als aufmüpfiger Schwabe findet man das nicht soooo schlimm, Vielen ist es aber ein großes Anliegen, unter die Fittiche der Evidenzbasierung zu kommen. Man könnte einwenden, daß alle ‚Hand anlegenden‘ Verfahren dieses Problem teilen, und es also bekannt sein müßte, wird aber in der Diskussion immer wieder mit gegenteiligen Meinungen konfrontiert.
Es ist tröstlich, daß schon seit Jahren ähnliche Konflikte in der medizinischen Diskussion ausgetragen wurden. Der hier präsentierte Autor wird manchen unter uns nur von der ‚Kiblerfalte‚ bekannt sein. Wie viele engagierte Ärzte hatte er sich auch übers rein Technische hinaus Gedanken gemacht, was sich in diesem Text niederschlug. Es soll nicht vergessen werden, daß er in den Nazi- Jahren wohl unschöne Dinge auf dem Kerbholz hatte (näheres weiß ich nicht), aber dies Schicksal teilt er mit Furtwängler, Heidegger und vielen anderen, und es ändert am grundsätzlich richtigen Text aus den 50ger Jahren nichts, macht uns nur bewußt, daß man auch als scheinbar kluger Kopf nicht gegen schlimme Fehler gefeit ist. Manches Detail ist nur aus der Zeit heraus nachzuvollziehen, andere wohl immer noch gültig, aber oft vergessen.
Als Antidot für die Suche nach der Wahrheit und der Behandlungsrichtlinie hilfts. (Text Kibler_55_Standpunkt). Wir sehen immer nur einen Teil der Wahrheit, wie schon Sokrates wußte: „Ich weiß, daß ich nicht weiß!„
Die Morgen- und Abendhühner
In letzter Zeit wurde darüber spekuliert, warum es solch eine emotional aufgeladene Diskussion über den Begriff KiSS gibt …
Es liegt in der Natur des Menschen, daß man sich zu Gruppen zusammenfindet, und sei es nur zum Austausch von Briefmarken oder Kafferahmdeckeli (eine schweizer Erfindung).
Auch im Handwerk der Manualmedizin gibt es alle möglichen Clubs, und bei einigen tut sich zur Zeit einiges. Da haben dann Optimisten gehofft, es möge sich aus dieser Dynamik vielleicht eine gemeinsame Haltung ergeben.
Da fiel mir bei der ziellosen Lektüre kürzlich dies kleine Zitat in die Hände:
„Im Hühnerhof entzündete sich eine Diskussion an der Frage, was schöner sei, die Morgendämmerung oder die Abenddämmerung. Es bildete sich eine Partei der Morgenhühner und die der Abendhühner. Im Laufe der Zeit vergaßen die einen die Morgendämmerung und die anderen die Abenddämmerung, übrig blieb nur der Haß der einen auf die anderen.“
Luigi Malerba: Die nachdenklichen Hühner. Wagenbach, Berlin
Man kann dann aus dieser freundlichen Philosophen-Warnung nur die Lehre ziehen, sich selber von Haßgefühlen zu befreien.
Aber wie sagte schon Goethe so schön: Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es seinem Nachbarn nicht gefällt –
und ist man ja weit davon entfernt, sich als den Frömmsten zu bezeichnen…