Warum der Hinterkopf so wichtig ist – weit über seine Umgebung hinaus
Nicht selten haben wir – ungefähr auf halber Strecke der ersten Begegnung mit einem neuen Patienten – mit einem kleinen Verständnisproblem zu kämpfen.
Im Rahmen der Untersuchung seiner Beschwerden, die keineswegs vor allem im Nacken den meisten Kummer&Ärger machen, stellen wir fest, daß der Rücken recht verspannt ist – um es mal umgangssprachlich zu formulieren. Wenn man nun diesen verspannten Muskeln hinterhergeht, kommt man nicht selten „oben am Hals“ an.
Im Prinzip können sich da zwei Problembereiche finden: echte ‚Blockierungen‘, d.h. feste Verbindungen der einzelnen Segmente der Halswirbel, oder muskuläre Hochspannung in diesem Bereich. Das läßt sich natürlich nicht schematisch voneinander trennen und ist recht häufig miteinander verbunden, aber es ist doch wichtig,, sich eine Meinung zum Hauptproblem zu bilden. Gemeinerweise muß das da, wo man’s am meisten findet, gar nicht so viel Ärger machen.
Deshalb ist das hier einmontierte Foto eigentlich nicht ideal für diesen Text, da es ja den Nacken eines älteren Herren zeigt, aber dazu später mehr. Die Jugend hat halt meist den eigentlichen Nacken unter einer noch reichlichen Haarpracht verborgen, vom subcutanen Fettgewebe, das auch den Blick auf die Strukturen erschwert, ganz zu schweigen. So sieht man halt die anatomischen Details hier besser als bei Jüngeren.
Im Extremfall – nicht selten bei Teenagern, und da meiner Erfahrung nach bei Mädchen noch mehr als bei Jungs, können Beschwerden an der Achillessehne mit Ursachen mechanischer Probleme am Hals, meist an den Kopfgelenken (der obersten Etage), in Verbindung gebracht werden. Nicht selten muß man dann den besorgt zusehenden Eltern die Zusammenhänge zu erklären versuchen, was einen gewissen Vertzrauenskrediet voraussetzt, wenn man zur Behandlung kommt.
Bei Jüngeren sind es also in der Regel ‚echte‘ Blockierungen, bei älteren eher muskuläre ‚Fehlprogrammierungen‘ – wobei hier vom Kiefer, über die Statik bis zur Psychologie eine Vielfalt von Ursachen in den Blick genommen werden müssen. Entsprechend sind die Behandlungsansätze unterschiedlich: Während Blockierungen, wenn man sie korrekt analysiert, oft mit einer Behandlung angegangen werden können, sind die muskulären Probleme hartnäckiger und vielfältiger. Hier muß man nicht selten der Versuchung widerstehen, ‚einfach‘ entspannend einzuwirken, und erst nach der strukturellen Ursache forschen; wenn man aber diese nicht oder nur teilweise angehen kann, bleibt eben die symptomatische Therapie, d.h. wir bemühen uns, wenigstens die Verspannung zu mindern.
Das ist Glanz und Elend der Behandlung ‚ganz erwachsener‚ Patienten (also derer über 40LJ). In dem hier angehängten Artikel geht es vor allem um diese Zusammenhänge.
Der weitreichende Einfluß der Fehlfunktion des Nackens
Wie ein kleiner Bereich Auswirkungen weit über seine unm,ittelbare Nachbarschaft haben kann. Ein gutes Beispiel sind Beschwerden Carpaltunnel oder dem Epicondylus. Oft Liegt ihre strukturelle Ursache ganz woanders. Oft liegt ein Mischbild vor – der kranke Organismus tut uns eben selten den Gefallen, nur am Ort der Beschwerden Probleme zu haben, oder sich aufs Mechanische zu beschränken.
Ein gereizter Meniskus muß immer eine Untersuchung der Beinachsen und der Funktion der Hüften nach sich ziehen, sonst greift die Therapie zu kurz. Ein Gangfehler mit Schmerz am Sprunggelenk kann von einem gichtigen Großzehengrundgelenk (mit-) verursacht sein etc. ‚Erfahrungsheilkunde‘ nannte man das früher, und es ist ein wenig vergessen worden, dass eben dieses weiter Ausholen nicht nur bei funktionellen Beschwerden sinnvoll ist.
Die Wirbelsäulenpole spielen hier oft eine herausragende Rolle. Im Folgenden soll uns der obere Bereich beschäftigen. Er weist in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedliche Störungsmuster auf: der Nacken mit seinen Ansätzen der langen posturalen Ketten, seiner komplexen sensomotorischen Verschaltung.
Ein klassischer Behandlungsansatz
In der Neugeborenenphase ist hier das Zentrum der motorischen Entwicklung2; je älter man wird, desto mehr kommen andere Bereiche zum Zug. Zum einen ist diese Zone Agonist der Rückenstreckung bis zum Beckenring, zum anderen Antagonist der Temporomandibulärregion. Kau/ Kieferbereich und Atemwege mit ihren Störungen und Auffälligkeiten kommen auch hier zum Tragen, mechanisch durch Muskelverspannungen und lokale Entzündungen, da zwischen Rachen- Hinterwand und HWS kaum Abstand ist. Vom ‚Zähne zusammenbeißen‘ und den Nackenschlägen der eher Erwachsenen ganz zu schweigen. Ziel dieser Diskussion ist nicht, die ganze Spannbreite der hier relevanten Diagnosen und Behandlungsansätze darzulegen. Ganz ‚realpolitisch‘ steht hier die Frage im Vordergrund, welche symptomatischen Einflussmöglichkeiten am unkompliziertesten sind, sozusagen zum Grundrepertoire gehören.
Daß diese Region schon lange im Blick verschiedenster Behandler:innen ist, zeigt ein Blick in die Geschichte. Schon in früheren Jahren und Kulturen waren etliche Abstandshalter und Tragevorrichtungen bekannt, die am Nacken ansetzen. Es wurde lange geglaubt, dass die aus anthropologischen Veröffentlichungen bekannten Nackenstützen vor allem zur Schonung der aufwendigen Frisuren benutzt wurden3, oder gar zeremonielle Funktionen hatten.
Schon früh wurde die Glisson- Schlinge propagiert; der Namensgeber war Anatom im England des 17. Jhds. Die ursprüngliche Version zog mittels einer Schlinge am Kopf des Patienten; spätere Modelle stützen sich auf den Schultern ab . Wer sich in einen Glisson begab, sollte Platzangst- frei sein. In den letzten Jahren kam auch der Rat auf, sich mit Tennisbällen und einem Socken eine Stütze zu konstruieren, auf der man dann liegt, um den Hals zu stimulieren. Bei diesen Konzepten stört, daß einerseits meist der ohnehin verspannte Trapezius als Basis dient, was diesen zusätzlich irritiert. Zudem umfasst und drückt der vordere Anteil des Gurtes das Kiefergelenk, dessen Reizung in der Regel eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Die Konstruktion mit den im Socken verpackten Tennisbällen hat zwar den Vorteil, dass man auf Vorhandenes zurückgreifen kann, und es auch nicht beim Gebrauch einengt, aber den Nachteil, dass die Richtung der ausgeübten Kraft rechtwinklig vom Boden weggeht, und so nur wenig Traktion auf die schmerzhaft verkürzten Nackenmuskeln ausübt.
Ideal ist natürlich alles, was z.B. als manuelle Traktion verabreicht wird (vgl. Abb. 3). Auch hier sei auf ältere, teilweise dramatisch wirkende Behandlungsvorschläge verwiesen, die heutzutage kaum glaublich wirken. Eine Traktion hat den Vorteil, daß man auf Reaktionen des Patienten Rücksicht nehmen und z.B. die nicht immer symmetrisch abnehmende Muskelspannung reagieren und so gezielter arbeiten kann. Nachteil dieses Ansatzes ist, dass man das nicht ‚eben mal so‘ machen kann. Nicht zuletzt deshalb sind alle Beteiligten dankbar für alles, was die Patienten in den Stand versetzt, sich selber im Akutfall zu helfen.
Oft ist eine Kombination die beste Wahl: Zu Beginn kümmern sich Ärztin und/oder Therapeut um die geklagten Beschwerden und behandeln diese, im Anschluß daran wird es dem Patienten dann ermöglicht, zumindest zwischenzeitlich selbst tätig zu werden; eine Variante, die sich im Lauf der Jahre bewährt hat. Sie ermöglicht es den Patienten, wiederholt auftretende Beschwerden selbstständig anzugehen und macht so einen Teil der sonst nötigen Besuche beim Therapeuten vermeidbar. Ganz darauf verzichten kann man in der Regel nicht, aber für die dann selteneren Besuche sind dann meist Beide motivierter.
Viele Faktoren wirken hier ein
Nackenverspannungen durch ein stressiges Leben – das war eigentlich auch der Grund, warum ich in dieses Projekt4 eingestiegen war. Eine Kombination eines streßaffinen Charakters (da kann man nichts dran ändern) und Streß- verursachender Lebensumstände (leider zumindest kurzfristig auch kaum beeinflußbar) führen bei Vielen zu immer wiederkehrenden Verspannungen im Nacken. Wie sich das von hier aus weiter auswirkt, ist im Wesentlichen ein individuelles Phänomen; es ist der ‚Wetterwinkel‘ der persönlichen Beschwerden5. Ein junger Mensch z.B., der von früh auf immer wieder mit Kopfschmerzen zu tun hatte, wird auf eine kieferorthopädische Behandlung (KFO) mit ihrer Irritation der lokalen Muskeln mit eben diesen Kopfschmerzen reagieren. Nicht dass sie nun primär durch die KFO verursacht wären. Sie waren vorgebahnt und jede Irritation im Hals-Nackenbereich löst sie wieder aus. Gerade bei KFO und der hierbei fast unvermeidlichen Aktivierung der Biomechanik ist das bei unseren jungen Patienten häufig zu beobachten.
Hier ist eine kausale Behandlung fast unmöglich, stellte sie doch die KFO in Frage, und symptomatische Maßnahmen sind die Methode der Wahl, zumal ein Ende des Irritation (die KFO-Behandlung) absehbar ist. Auch angeborene Imbalancen der Statik – von einer einfachen Beckenausgangs- Asymmetrie bis zu Skoliosen – kommen oben an d.h. sie tragen zu nuchalen Verspannungen bei, und strahlen dann sekundär von hier in die Peripherie aus.
Sind es bei Heranwachsenden fast immer Beschwerden mit Kopfschmerz- Charakter, fächert sich das Beschwerdebild in der Folgezeit auf, oft schon in der Teenager- Phase,. Z.B. spielt der Schulter- Armbereich, ja die Beine spielen mehr und mehr eine Rolle. Sicher ist die lokale Problematik nicht zu unterschätzen – sei es die Überreizung von Schulter, Ellenbogen oder Handgelenk – aber ohne an die übergeordneten Strukturen zu denken, kommt man selten zu einer dauerhaften Lösung, oder muß unnötig massive Mittel einsetzen. Weder das ‚Viel hilft viel‘ , noch das medikamentöse Abdecken mit Schmerzmitteln sind eine schöne Lösung. Hier kann ein Einwirken auf die jahrelang bestehenden Verspannungen im nuchalen Areal geradezu kausal sein, weil diese zwar ursprünglich durch die Grundproblematik verursacht waren, jetzt aber ihrerseits das Ganze mit unterhalten. Auch hier ist man im Sinne einer effizienten Behandlung gut beraten, wenn man die Eigeninitiative des Patienten in die Therapie integrieren kann.
Ein oft übersehener Aspekt der Behandlung funktioneller Beschwerden ist auch, dass fast regelmäßig zu beobachten ist, wie die objektive Besserung der subjektiven vorausgeht. Bei der Befundkontrolle nach einigen Wochen ist oft deutlich, dass die Härte der Anspannung, das Ausmaß des muskulären Verkrampfung schon deutlich nachgelassen haben, die Patienten aber über ‚noch immer die gleichen‘ Beschwerden klagen. Das ist kein böser Wille, oder gar Simulieren, sondern ihrem ‚Schmerzgedächtnis‘ geschuldet. Einmal gebahnt, springt es schon bei einer kleinen Irritation wieder an, und muß erst im Lauf der Zeit verlernt werden – was Wochen und Monate in Anspruch nehmen kann. Hier spielen Beschwerdedauer, Charakterielles und die Lebensumstände eine Rolle. Auch deshalb kann es wichtig sein, den Patienten aktiv in die Behandlung zu integrieren. So kann diese nicht selten recht lange Periode von den Patienten besser toleriert werden.
In der Konfrontation verschiedener Beschwerden in Kopf/Schulter/Nacken Bereich wird deutlich, dass die Ursachen der Beschwerden ganz unterschiedlich sein können; von einer Zahnproblematik über eine Fehlstatik, eine Störung im Oberbauch oder ein Streß in Beruf und/oder Familie löst das dann Muskelhartspann in immer den gleichen Bereichen aus. Von da aus wiederum werden durchaus nicht immer dieselben Beschwerden hervorgerufen. Mal sind es Kopfschmerzen, mal der berüchtigte ‚Tennisellenbogen‘ oder Schwindel, Druck auf der Brust oder mangelnde Leitungsfähigkeit. Da fast immer ein Mischbild vorliegt, ist die Aussage, dass der Trapezius verhärtet ist, meist wenig hilfreich für die Suche nach der Ursache.
Schaltstelle Nacken
Dieser Sanduhrcharakter der Nackenverspannungen (viele Ursachen, ein Symptom, etliche daraus resultierende Beschwerden) ist typisch für diesen Bereich – und für Diagnostik und Therapie eine Herausforderung. Ein Zuspitzen auf lineare Kausalketten scheitert an unserem unordentlichen, vielfachen Einflüssen ausgesetzten Leben. Ein symptomatisches Verringern des Muskeltonus kann auf vielerlei Weise unterstützt werden, vom Wärmen über die Massage bis zur Traktion – auch lokale Salbeneinreibung bzw. Franzbranntwein ist eine Option, von Physiotherapie und/oder Manualmedizin ganz zu schweigen. Wenn man sowohl in der Kommunikation als auch im Behandlungskonzept den großteils symptomatischen Charakter nicht aus dem Auge verliert, ist das in Ordnung. Stellt man diese Beeinflussung eines Symptoms in der Mittelpunkt, ist der Ansatz fragwürdiger.
Je älter der Patient ist, desto eher muß man von der kausalen auf die symptomatische Ebene gehen, desto mehr spielen die vielen hier angekommenen Störungen anamnestisch eine Rolle. Aber schon bei Jüngeren sind immer wieder Phasen zu überbrücken. Das kann ein Zustand nach Unfall sein, Fehlbelastungen oder (s.o.) eine laufende KFO- Behandlung. Wachstums- und Entwicklungsschübe kommen als Irritationsfaktor dazu. Holzschnittartig vereinfacht kann man sagen, daß die Nackenverspannung mit zunehmendem Lebensalter eine vermehrte Chronizität wahrscheinlicher macht. Um so wichtiger ist, die Patienten aktiv in die Behandlung einzubeziehen.
Wärme als unspezifische Basis ist nur kontraindiziert bei floriden Entzündungen. Reduktion des Muskeltonus bei ‚verspannten‘ Muskeln ist schon differenzierter zu betrachten. Dieser ‚Erfordernis- Hypertonus‘5 sollte bei den Behandlungen in Auge behalten werden. Z.B. ruft eine Gelenkirritation oft eine Schutzverspannung der zugeordneten Muskulatur hervor. Wenn man versucht, diese zu vermindern, ohne an die strukturellen Ursachen zu denken, wird der Erfolg bestenfalls kurzfristig sein, schlimmstenfalls kontraproduktiv. Kommt man nun zu dem Schluß, dass die Ursache dieses Muskelhartspanns zumindest zeitweise unvermeidlich ist, ist eine dosierte Tonusverminderung durchaus sinnvoll.
Die Betonung liegt dabei auf dosiert. Bei der Frage, wie man dies möglichst schonend erreicht, ist die Erkenntnis zentral, dass ein axialer Zug meist am physiologischsten ist. Rotation und Neigung, v.a. am Hals, sind fehlerträchtiger und meist auch für das Ziel der Spannuungsreduktion weniger effektiv.
Dosierung und Behandlungsrichtung wichtig 
Etliche der vorgeschlagenen Mittel wirken eher quer zur Achse ein, was wenig effektiv ist. Natürlich hat auch ein Querdruck auf die kurzen Nackenmuskeln eine reflektorische Entspannung zur Folge, wenn man ihn wieder wegnimmt, aber ein Vektor in Richtung der Körperachse ist gezielter und damit wirksamer. Der Nacken liefert bei Kreuzschmerzen – vor allem bei Erwachsenen – einen nicht zu unterschätzenden Beitrag6. Nach Jahrzehnten der Betreuung dieser Patienten kann festgehalten werden, daß das Angehen der verspannten Nackenregion nützlich sein kann. Der ‚Nachteil‘ dieses Konzepts ist, daß sich da keine kranke Bandscheibe, kein entzündeter Muskel nachweisen läßt. Bildgebende Verfahren sind hier wenig hilfreich, aber in Einzelfällen durchaus wichtig. Der Nacken ist nur verspannt und schmerzempfindlich, das läßt sich auf Röntgen oder MRI kaum nachweisen. Eine untersuchende Hand findet es schnell….Bei dem hier gezeigten ‚Nexus-Einsatz‘ hat der Patient hier ein Kissen untergelegt, um dadurch den vorliegenden Rundrücken auszugleichen.
Die gewählte Behandlungstechnik, gerade in dieser zu Chronizität neigenden Struktur, sollte möglichst risikoarm sein. Schon im Hinblick auf das Irritationspotential der A. Vertebralis7 ist Vorsicht geboten, auch Dysharmonien der segmentalen Biomechanik – die ja häufig eine der Hauptquellen der Nackenverspannung sind – sollten zu Zurückhaltung mahnen, zumal das „viel hilft viel“ gerade hier wenig sinnvoll ist. Axiale Traktion hat sich als die risikoärmste Methode bewährt, sei es in einer Behandlung durch eine Therapeutin oder instrumentell.
Es ist faszinierend zu sehen, wie man beim Studium älterer Veröffentlichungen nachvollziehen kann, daß der gemeinsame Erkenntnisprozess zu meist immer sparsamerer Verwendung der eingesetzten Mittel geführt hat. Vergleicht man durchaus seriöse Konzepte von früher mit den heute vermittelten Behandlungsmethoden, wird das immer wieder deutlich Dies ist konkretes Beispiel, wie die theoretische Durchdringung der Pathophysiologie und das darauf folgende bessere Verständnis für die zugrundeliegenden Vorgänge Konsequenzen für eine gezieltere und dadurch weniger ‚heftige‘ Therapie hat. Es sollte uns Mahnung sein, auch die aktuellen Konzepte als optimierbar wahrzunehmen. Das Bessere ist eben der Feind des Guten…
Eine Aufbißschiene8 wirkt ähnlich auf den ventralen Zügel der Kopf-Haltemuskulatur, wie eine okzipitale Traktion im dorsalen Anteil. Beide Male ist es meist eine symptomatische Therapie, die am Beschwerden vermittelnden Muskel ansetzt, und nicht an den dahinterliegenden Problemen. Wo man therapeutisch primär arbeitet, ist neben dem Ergebnis der klinischen Untersuchung auch von der Vorgeschichte abhängig. Es spricht nichts dagegen, beide Konzepte miteinander zu verknüpfen, zumal, wenn alleiniges Einwirken auf nur einen Zügel – sei es dorsal oder ventral – nicht ausreichend war. Weder die dorsale Traktion, noch die Aufbißschiene schaffen irreversible Fakten. Wenn’s nicht klappt, läßt man’s eben, und muß eine andere Lösung suchen.
Die nuchale Muskelverspannung ist weder hinsichtlich ihrer Ursachen, noch im Bezug auf die durch sie ausgelösten Beschwerden sehr aussagekräftig, sie hat wenig diagnostische Relevanz, aber viel therapeutisches Potential. Hier kommt einfach vieles zusammen, um es etwas salopp zu formulieren9. Die allgemeinen Lebensumstände – viel sitzen, viel in Vorbeuge die dorsalen Muskelketten belasten führen eher zu tagsüber zunehmenden Beschwerden, während der temporo- mandibuläre Zügel in der Ruhe- und Traumphase nachts mehr in den Focus gerät. So ist es fast ein differenzialdiagnostischer Hinweis, wenn Schmerzen und Verspannungen vor allem morgens beim Aufstehen berichtet werden. Dann steht der Zahn/Kieferbereich in der Regel im Vordergrund10, wobei man auch immer vor dem Bauchschafen11 warnen sollte. Belastungsabhängige Beschwerden tagsüber lassen eher weniger an diese Region denken. In beiden Fällen werden übrigens von den Patienten meist die Nackenschmerzen als Beschwerdezone hervorgehoben12.
Findet man in der Anamnese und bei der Untersuchung Anhaltspunkte für Bezüge zu dieser Region, ist die Untersuchung und Behandlung des nuchalen Muskelhartspanns relevanter Teil eines physikalischen Therapiekonzeptes etlicher Beschwerdebilder unterschiedlicher Genese. Oft wird man hierbei wenig nosologische Information, aber um so mehr Behandlungseffizienz gewinnen. Die Arbeit in der Körperachse (manuell oder mittels Traktionskissen4) sollte als risikoloseste Option Mittel der Wahl sein. Mit zunehmendem Lebensalter wird die Risikoabwägung des Behandlungskonzeptes immer wichtigen.
,The proof is in the pudding’ sagen die Engländer; auf unsere Problematik übertragen heißt das, daß sich eine Reduktion der nuchalen Hypertonie als unschwer realisierbare Option anbietet, aber auf ihren Erfolg hin überprüft werden sollte. Man sollte sich immer bewußt sein, daß man hier in der Regel symptomatisch behandelt. Sie ist selten die strukturelle Lösung, oft aber eine Hilfe bei ganz unterschiedlichen Problemfeldern. Und letztlich ein Möglichkeit, den Patienten aktiv in die Behandlung einzubeziehen, indem man ihm Hilfen in die Hand gibt, um sie so zur Mitarbeit zu motivieren.
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6. H. Biedermann. The Cervico- Lumbar Syndrome. in Back Pain An International Review (eds. John K. Paterson & Loic Burn) 292–299 (Kluwer Academic Publishers, Dordrecht Boston London, 1990).
7. Hajnovič, Ľ., Šefránek, V. & Schütz, L. Trauma of the extracranial cerebral arteries due to injuries of the cervical spine. Rozhl. V Chir. Mesicnik Ceskoslovenske Chir. Spolecnosti 97, 504–508 (2018).
8. van Sluijs, R., Lukic, N. & Ettlin, D. A. Bruxismus : Wie gefährlich ist das Zähneknirschen? Allg. 4–6 (2020) doi:10.5167/uzh-190646.
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10. Imhoff, B. Kraniomandibuläre Dysfunktion und Nackenverspannung. Freie Zahnarzt 65, 88–91 (2021).
11. Douglas, J. A. et al. Guidelines for Sleep Studies in Adults – a Position Statement of the Australasian Sleep Association. Sleep Med. 36 Suppl 1, S2–S22 (2017).
12. Kares, H., Schindler, H. & Schöttl, R. Der etwas andere Kopf- und Gesichtsschmerz: Craniomandibuläre Dysfunktionen CMD. (Schlütersche, 2008).